Die Eisenbahn war noch jung -
1825 war in England die erste Dampflok auf der Strecke von Darlington bis
Stockton im Einsatz -, und die Industrialisierung des Ruhrgebiets steckte
noch in den Kinderschuhen, als bereits erste Überlegungen angestellt wurden,
Amsterdam mit dem Ruhrgebiet und der Handelsmetropole Köln durch eine
Eisenbahnstrecke zu verbinden, die auch an Dinslaken vorbeiführen sollte. Es
gab Verhandlungen zwischen den verschiedenen Interessenten auf preußischer,
rheinischer und niederländischer Seite. Der Regierungspräsident Delius in
Köln riet dem preußischen Innenminister von Schuckmann zum raschen Handeln,
denn der günstige Zeitpunkt kehrt vielleicht nimmer wieder, wenn er einmal
versäumt worden ist. Aber der günstige Zeitpunkt wurde erst einmal versäumt,
weil die Kohlenhändler in Essen und Ruhrort, allen voran Franz Haniel und
vermutlich auch die Ruhrschiffer, erfolgreich gegen den Bau der
Eisenbahnstrecke protestierten. Trotz erteilter Konzession für die Strecke,
durchgeführter Vermessungsarbeiten und eingeholter Kostenvoranschläge blieb
das Projekt auf der Strecke. So fuhr Deutschlands erste Eisenbahn nicht am
Rhein, sondern 1835 zwischen Nürnberg und Fürth.
Aber Delius sollte nicht
endgültig Recht behalten, gut zehn Jahre nach den ersten Verhandlungen nahm
ein in Wesel gegründetes Eisenbahnkomitee das Projekt Ruhrgebiet - Amsterdam
wieder auf. Für die Köln-Mindener-Eisenbahn hatte man den Streckenverlauf
1843 festgelegt, und das Weseler Eisenbahnkomitee plante einen Abzweig von
Oberhausen als Bahnstation der Köln-Mindener bis nach Arnheim. Bis der
genaue Streckenverlauf geklärt war, man sich zwischen niederländischer und
preußischer Seite auf eine Spurweite geeinigt und einen Staatsvertrag
unterschrieben hatte, war das Jahr 1852 gekommen. Die
Köln-Mindener-Eisenbahn-Gesellschaft, die 1848 die Strecke von Köln nach
Minden eröffnet hatte, erhielt die Konzession für den Bau Oberhausen -
Arnheim, von wo aus eine 1845 fertig gestellte Strecke nach Amsterdam
führte. Die geplante Fertigstellung drei Jahre später konnte nicht
eingehalten werden, aber 1856 war man immerhin so weit, dass das Teilstück
Oberhausen - Dinslaken in Betrieb gehen konnte. Passagiere, Reisegepäck,
Hunde, Equipagen, Pferde sowie Eilgut und Vieh konnten nun in 2., 3. oder 4.
Wagenklasse zwischen Oberhausen und Dinslaken über Sterkrade hin- und
herreisen - so stand es in der Anzeige, die die Direktion der
Köln-Mindener-Eisenbahn-Gesellschaft in die Rhein- und Ruhrzeitung am 1.
Juli 1856 setzen ließ. Mit dem Tage der Eröffnung der Bahn Oberhausen -
Arnheim war auch in Dinslaken die alte und beschauliche Zeit für immer
dahin, denn die traditionelle Posthalterei wurde am gleichen Tag aufgegeben.
Der Posthalter W. Rosendahl verkaufte kurze Zeit später Pferde und Kutschen. |
Drei Tage dauerten die
Feierlichkeiten zur Eröffnung der gesamten Eisenbahnstrecke am 18. Oktober
1856. Die Ereignisse in Dinslaken schildert Willi Dittgen: »In Dinslaken
machte der Zug eine ganz kurze Verschnaufpause, die aber nur ausreichte, um
dem Bürgermeister Kurgag Gelegenheit zu geben, dem Minister die Hand zu
drücken und ein Hoch auf den König und den nicht mehr aufzuhaltenden
Fortschritt auszubringen.«
Dinslaken, das immer abseits
vom Wege gelegen hatte, erhielt Anschluss an die Welt.
Vielleicht gerade, weil es
immer abseits der großen Wege und Chausseen gelegen hatte, beeindruckte das
Eisenbahnprojekt die Geschäftsleute und Stadtverordneten nicht weiter.
Während all der Jahre der Verhandlungen und Planungen zeigten sie wenig
Interesse für den Streckenverlauf und die Lage des zukünftigen Bahnhofs. So
verlief die Bahnstrecke recht weit nordöstlich an der Stadt vorbei, und der
Bahnhof lag für damalige Verhältnisse weit außerhalb. Erst langsam dämmerte
den Stadtverordneten, dass die Eisenbahn den Viehtransport stark
vereinfachen konnte. Die Eisenbahn - das Transportmittel der
Industrialisierung war da, aber es gingen noch einige Jahrzehnte ins Land,
bis auch Dinslaken hier Anschluss fand.
1916 erhielt Dinslaken einen
neuen Bahnhof, der den Bau von 1856 ersetzte.
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Bitte einsteigen!
Dinslaken hatte seit 1856 einen Bahnhof. Der
Betrieb war in den ersten Jahren recht dünn, und nur selten herrschte
Gedränge am Fahrkartenschalter. Anne Piepenbrink wollte eines Tages ihre
Tante Lotti in Wesel besuchen. Als sie zum Bahnhof kam, sah sie, dass sie
der einzige Fahrgast war. Es schien ihr doch nicht in Ordnung sein, dass der
Zug nur für sie alleine fahren sollte. Sie stieg wieder aus und sagte zum
Schaffner:
"Herr Schaffner, das kann ich aber nicht
verlangen, dass der ganze Zug mit allen Wagen bloß Iür mich fährt; ich
steig' wieder aus und fahr ein andermal."
"Steigen Sie mal wieder ein", entgegnete der
Schaffner, "das macht nichts, wir müssen sowieso fahren, wir haben auch noch
einen Brief mitzunehmen." |
Pitter hatte den Viehmarkt in
Dinslaken besucht, und da auf dem Weg vom Neutor bis zum Bahnhof allerlei
Kneipen lagen, hatte er tüchtig Schlagseite. Er stand vor dem
Fahrkartenschalter und" kramte in allen Taschen nach GeId. Dabei fieI ihm
ein Fünfzig-Pfennig-Stück aus der Hand. Er sah dem rollenden Geldstück nach,
machte aber keinen Versuch, sich zu bücken. Als ihn sein Hintermann darauf
aufmerksam machte, dass ihm GeId hingefallen sei, da meinte der Pitter:
,"Ich werd' mich hüten, mich zu bücken. Wenn ich mich für fünfzig Pfennige
bücke, dann läuft mir für fünf Mark wieder heraus."
Er sprach's und schwankte aufrecht zur Sperre. |