Dinslakener Geschichte 1943


Das Lager „Südstraße“ im Hiesfelder-Bruch – Einst das Dorf der Bergleute
 

Ältere Bürger sprechen gelegentlich noch vom Südlager, wenn von dem Gelände „An der Fliehburg“ die Rede ist. Umgangssprachlich wird das weitläufige Areal kurz als „Fliehburg“ bezeichnet. Die Stadt Dinslaken hat hier seit Jahren Menschen verschiedener Nationalität, die sich aus politischen oder sonstigen Gründen verfolgt fühlen, untergebracht. Betreut und beraten werden die Asylsuchenden vom Caritasverband für die Dekanate Wesel und Dinslaken e.V., der hier auch ein Möbellager unterhält. Hier befindet sich aber auch das Vereinsheim der Sänger vom MGV Concordia Lohberg sowie das Lager des Museums „Voswinckelshof“.

In den Jahren 1943/44 wurden in dem Wäldchen des Hiesfelder-Bruches, ehemals Besitz der Vereinigten Stahlwerke, von der August-Thyssen-Hütte Wohnbaracken zur Unterbringung lediger Arbeiter errichtet.  Der offizielle Name war: Lager Palestrina. In der Bevölkerung nannte man lange Zeit nur „Italienerlager“. In den insgesamt 34 Wohn- und Wirtschaftsbaracken waren bis zu 1.100 Zwangsarbeiter der Bandeisenwerke und Röhrenwerke Dinslaken untergebracht.

Nach Kriegsende waren noch 10 ausbaufähige Unterkünfte vorhanden. Alles andere war durch Bombenabwurf, Artilleriebeschuss zerstört bzw. von Dieben weggeschleppt worden. Was noch stand, hatte weder Türen noch Fenster, weder Lichtleitungen noch sanitäre Anlagen. Die Stadt Dinslaken richtete dann an der Ostpforte 2 Baracken, die Häuser „Ostpreußen“ und „Barbara“, notdürftig als Unterkunft für 15 Flüchtlingsfamilien mit insgesamt 75 Personen her.

Zur Unterbringung von Bergleuten übergab die August-Thyssen-Hütte das Lager im August 1947 an die Vereinigten Stahlwerke bzw. an die Gelsenkirchener Bergwerks AG. Um den Baracken den üblen Lagercharakter zu nehmen, waren nicht nur wesentliche Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten erforderlich, sondern auch eine Änderung des Raumprogramms. An Stelle der üblichen Schlafsäle für 10, 20 und mehr Leute wurden wohnliche Stuben mit nur 3 oder 4 Betten eingerichtet.

Anfang März 1949 standen die ersten Unterkünfte für 220 ortsfremde Heimbewohner bereit.  Bis Ende des Jahres waren insgesamt 525 Wohnmöglichkeiten fertig, in denen 459 Belegschaftsmitglieder der Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 untergebracht werden konnten.

Die Heimbewohner wurden mit einem Zug der Schachtanlage 2/5, später zur Schachtanlage Lohberg auf der Werksbahn befördert. Zu diesem Zweck wurden zwei Personenwagen beschafft und an den Haltestellen Hiesfelder Bruch, Lohberg, Wehofen und Friedrich Thyssen 2/5 richtige Bahnsteige errichtet. Täglich brauste der „eilige Elias“ unter viel Geläut qualmend durch die Landschaft, vom Heim zum Schacht, vom Schacht zum Heim. Durch die Kohlekrise ging 1957 die Zahl der Heimbewohner zurück. Der Zugverkehr wurde eingestellt und der Transfer erfolgte von da an mit dem Bus.

Bis dahin wuchs das Bergmannsdorf Hiesfelder Bruch Monat für Monat. Immer mehr neue Unterkunftshäuser wurden bezugsfertig um die Menschen unterzubringen. Sie kamen aus allen Teilen der „Trizone“, so nannte man seinerzeit die von Engländern, Franzosen und Amerikaners besetzten Gebiete der Bundesrepublik.

Bei dem größten Teil der Heimbewohner handelte es sich um Flüchtlinge, die beim Bergbau Arbeit, Einkommen und Heimat fanden. Um dies zum Ausdruck zu bringen, wurden die Häuser nach den Landsmannschaften benannt: Baden, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, Rheinland, Sachsen, Schlesien, Thüringen, Würtemberg, Westfalen.

Ostern 1951 waren die ersten Berglehrlinge ins Dorf gezogen. Sie unterstanden einem in der Jugendpflege ausgebildeten Heimleiter. Im Laufe des Jahres 1954 wurde ein besonderes Jugenddorf gebildet. Die Lebensdauer des „Jugenddorfes Hiesfelder Bruch“ war jedoch recht kurz. Als die Belegschaft zurückging waren die Heime der Schachtanlagen Lohberg und 2/5 nicht voll ausgelastet. Zur Vermeidung der Anfahrtswege wurden die Lehrlinge verlegt.

Ein besonderer Höhepunkt in der Geschichte des Bergmanndorfes Hiesfelder Bruch dürfte die Inbetriebnahme des Gemeinschaftshauses „Barbara“ im April 1952 gewesen sein. Besonders für die Bewohner des Jugenddorfes schien es wie geschaffen. Hier spielte allmonatlich „Die Burghof-Bühne“. Der Kulturbeauftragte der Schachtanlage stellte ein Wochenprogramm auf mit Filmvorführungen, Lichtbildervorträgen, Schallplattenabenden usw. Die Heimleiter sorgten darüber hinaus für musische Arbeitsgemeinschaften, Singen, Musizieren, Laienspiel, Werken und Basteln.

Bilder von anno dazumal: 

 Ein völliger Wandel begann mit der Umsiedlung von Familien aus der Batscha (Bewohner der Batschka in Serbien und Ungarn zwischen Donau und Theiß, ehemals deutsches Siedlungsgebiet), aus Jugoslawien und aus Ungarn. Die ersten Donauschwaben kamen 1955, oft mit ganzen Familien. Es entwickelte sich eine Donauschwäbische Siedlung mit Enten, Gänsen und Hühnern.

Mit der Umsiedlung von Familien aus den abgetrennten Bergbaugebieten Nieder- und Oberschlesien, mit dem Rückkehrern aus Frankreich, viele brachten französische Frauen mit, mit den Kroaten, Italienern und Griechen wuchs der Bedarf an einer qualifizierten Kinderbetreuung. So wurde die erste Kindertageseinrichtung eingerichtet, die den Zuspruch aller Nationen fand.


Im Jahre 2013 stellte die Stadt Dinslaken auf Anregung der Denkmalbehörde des Landschaftsverband Rheinlandes 17 erhaltenen Baracken, 9 befestigten Splitterschutzgräben („Bunkern“) und zugehörigen Nebengebäuden (2 Pförtnerhäuser, 1 Fahrradunterstand, 1 Transformatorenhaus, 2 Brennstoff- und Abfallbehälter) unter Denkmalschutz.

In der Begründung heißt es: An Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen (architekturgeschichtlichen, zeit- und ortsgeschichtlichen) Gründen ein öffentliches Interesse.

Es handelt sich um eines der inzwischen nur noch ganz wenigen erhaltenen Barackenlager aus der Zeit des Nationalsozialismus bzw. der frühen Nachkriegszeit.

Von den bekannten Exemplaren ist das Lager im Hiesfelder Bruch nach heutigem Kenntnisstand wohl das am umfänglichsten erhaltene, so dass sich hier wie nirgendwo anders eine Gesamtheit aus Wohnbaracken, zusätzlichen Infrastrukturbauten und Luftschutzeinrichtungen anschaulich nachvollziehen lässt. Darüber hinaus repräsentiert das Lager Hiesfelder Bruch einen ganz spezifischen Abschnitt in der Geschichte dieser Einrichtungen, als unter fortgeschrittenen Kriegsbedingungen am Rande des kriegswichtigen Rhein-Ruhr-Wirtschaftsraums „Großlager“ in deutlicher Entfernung zu den Betriebsstandorten mit Luftschutzeinrichtungen (Massivbauweise, Splitterschutzgräben) errichtet wurden – insbesondere Letzteres wurde lange Zeit zugunsten der Vorstellung primitiver ungeschützter Holzbarackenlager in der Forschung nicht wahrgenommen, sondern wurde erst durch das Zeugnis der überkommenen Lager deutlich.

Seit dem 01.11.2014 ist die Stadt Dinslaken Eigentümerin des ca. 90.000 Quadratmeter große Areal mit dem Übergangsheim „An der Fliehburg“.  Vorher war das Areal im Besitz der Ruhrkohle und der RAG Montan Immobilien. Die Stadt Dinslaken hatte das Gelände seit vielen Jahren gepachtet.

 

Literaturnachweis: vgl. Walter Went, Das Dorf der Bergleute, Heimatkalernder für den Kreis Dinslaken 1962, S. 63-66