Reise in die Vergangenheit

 


Betty Tendering
 

Elisabeth Friederike (Betty) Tendering wurde am 6. Juni 1831 als jüngste Tochter des Rittergutsbesitzers Karl Tendering und der aus einem schottischen Adelsgeschlecht stammenden Antoinette Roß auf Haus Ahr in Möllen geboren.

Die Tenderings waren zuvor über mehrere Generationen Rentmeister des nahe gelegenen Hauses Mehrum und verwalteten mit großem Geschick den umfangreichen Besitz des Freiherrn von Plettenberg. Als sich 1823 die Gelegenheit bot, Haus Ahr zu kaufen, erreichten sie den Status selbständiger Großgrundbesitzer.

Betty hatte noch vier ältere Schwestern.  Ein Jahr nach Bettys Geburt, 1832, starb ihre Mutter Antoinette und ihr Vater heiratete im darauf folgenden Jahr Betty Schmölder, die Freundin der Mutter aus Coesfeld, Bettys Patentante, die nur nach weiteren zwei Jahren ebenfalls verstarb. 1839 musste auch der Vater zu Grabe getragen werden. Lina, die älteste der Mädchen, war erst 14 und Betty, die jüngste, 8 Jahre alt. Die Kinder wurden in verwandtschaftliche Obhut genommen. Betty wurde von ihrer Stiefgroßmutter in Coesfeld liebevoll aufgenommen.  Später lebte Betty in Berlin bei ihrem Großvater, dem evangelischen Bischof Roß.

An geistiger Lebendigkeit, Liebenswürdigkeit und Bildung war sie ihrer Schwester Karoline ebenbürtig, überragte sie aber durch die Schönheit ihres Wuchses und das Ebenmaß ihrer Züge. Wenn sie hoch zu Ross, in knapp anschließendem Reitkleid von Haus Ahr nach Wesel kam, um - die Reitpeitsche in der Hand - in den Läden Besorgungen zu machen, liefen ihr - so wurde erzählt - die Schulkindern nach.

Der Maler Ludwig Pietsch, der sie zu Anfang der fünfziger Jahre zeichnete, beschrieb sie als ein ,,wahres Elitewesen an Leib und Seele".  „Für eine Dame von zwanzig Jahren ungewöhnlich groß und hoch gewachsen. … Mit der Hoheit ihrer Erscheinung war ruhevolle Grazie und Anmut der Bewegungen innigst verbunden. Der schöne Hals trug ein von schwarzem, langem, reichem Gelock umwalltes Mädchenhaupt mit einem Profil von klassischem Adel der Linien. … Keine willkommenere, anziehendere Aufgabe hätte mir gestellt werden können als die, diesen herrlichen Kopf und diese Gestalt zu zeichnen." - So schrieb ein begeisterter Maler.

Ihrer Schwester Karoline – Rufname Lina -  war mit dem Verleger Franz Duncker in Berlin verheiratet. Im Hause Duncker verkehrten Literaten, Künstler und Gelehrte, denn in den Jahren nach 1848 war der Verlag Duncker eine Pflegestätte demokratischer Ideen. Dies und die Anziehungskraft , die Lina Duncker durch ihre natürliche und geistreiche Art ausübte, führten dazu, dass sich auch der schroffe schweizerische Schriftsteller und Dichter Gottfried Keller in diesem Hause bald heimisch fühlte.

Im Duncker'schen Hause kam dem Dichter die ,,ungefüge Leidenschaft auf den Hals" in der Gestalt der jüngsten Schwester Lina Dunckers, der schönen Betty Tendering aus Möllen. Sie war damals 24 Jahre alt und weilte im Winter 1854/55 zu Besuch bei ihrer Schwester. Seine herbe Verschlossenheit und die Umstände zwangen ihn, diese Liebe allein für sich zu verarbeiten. Die Zeugnisse 'dieses einsamen inneren Konfliktes hat er selber aufbewahrt. Es sind zwei Papierbogen, die er als Schreibunterlagen benutzte, als er die letzten Kapitel des ,,Grünen Heinrich“ schrieb.

Wir haben keine direkten Zeugnisse für die Gefühle, die Betty Tendering zu Gottfried Keller hegte. Fest scheint aber zu stehen, dass sie ihn nie geliebt hat. Zu groß waren die Gegensätze der äußeren Erscheinung und des Temperaments. Keller hat später das Gefühl gehabt, dass sie mit ihm gespielt habe. Für sie war er nicht mehr als eine interessante Persönlichkeit. Ans Heiraten hat sie nie gedacht. Keller hat sich später mit dieser Enttäuschung abgefunden.

Betty Tendering heiratete am 21. Juni 1860 in Wesel den Brauereibesitzer Heinrich Tigler und machte mit ihm eine Hochzeitsreise nach Amerika.

Betty Tendering starb am 13. April 1902.

 

vgl. Willi Dittgen, Heimatkalender für den Kreis Dinslaken 1955, S. 54-58, Betty Tendering und Gottfried Keller