Alte Kirmes mit Herz
INTERVIEW
Nicht so groß, nicht so laut, nicht so schnell - die Nostalgiekirmes in der
Dinslakener Altstadt hat mit dem Trubel der Martinikirmes nichts gemein.
Hier herrscht Rummelplatzatmosphäre wie vor 50 Jahren.
Dr. Ulrich Tekathen freut
sich auf die fünfte Nostalgiekirmes.
Von Freitag, 17. bis Montag,
20. August, lädt die IG Altstadt Dinslaken zum fünften Mal zu einer
beschaulichen Reise ins Kirmestreiben des vergangenen Jahrhunderts ein. Ralf
Schreiner sprach mit dem Vorsitzenden der Interessengemeinschaft, Dr. Ulrich
Tekathen.
Herr Dr. Tekathen. Die
Erwartungen an diese kleine Kirmes sind auch in diesem Jahr groß. Gibt es
eine besondere Attraktion?
Tekathen
Die gibt's. Man kann diesmal miterleben, wie die Schausteller junge Talente
fördern. In der Schaustellerfamilie Fellerhoff aus Düsseldorf heißen alle
männlichen Erstgeborenen Hermann. Der „kleine Hermann" - er ist 14 Jahre alt
- hat sich im vergangenen Jahr entschieden, Puppenspieler zu werden. Sein
Patenonkel Peter Buchholz, dem die Raupe gehört, hat ihm den Kasper
geschenkt. Und jetzt spielt der kleine Hermann am Samstag und Sonntag auf
dem Altmarkt seine ersten Stücke: „Die verzauberte Prinzessin", „Kasper und
Seppl bekommen Besuch" und ein Überraschungsstück. Eine Premiere, auf die
ich sehr gespannt bin.
Er hat das Stück selbst
geschrieben und spielt es selbst?
Tekathen
Ja. Der Junge ist hoch motiviert. Er hat da eine Menge Arbeit reingesteckt.
Er spricht auch die verschiedenen Rollen selbst.
Im vergangenen Jahr fehlte
die große Orgel. Wie sieht's in diesem Jahr aus?
Tekathen
Wir haben viele Anfragen bekommen. Die Besucher haben die Schleiferorgel -
das gute Stück stammt von 1927 - vermisst. Diesmal ist sie wieder dabei..
Das haben wir Sponsoren zu verdanken, die sich für die Nostalgiekirmes stark
machen. Wissen Sie, so eine Konzertorgel bringt nichts ein. Da gibt es mal
zehn, mal 20 Cent. Wir sind darauf angewiesen, dass die Besitzer gern kommen
und damit zufrieden sind, ihre Benzinkosten wieder reinzuholen. Ohne
Unterstützung von außen könnten wir das als kleiner Verein nicht bezahlen.
Auch eine Nostalgiekirmes
lebt von Fahrgeschäften. Im vergangenen Jahr war das Angebot etwas dünn.
Auch die ein oder andere Attraktion aus den Vorjahren haben die Leute
vermisst. Worauf dürfen sich die Besucher freuen?
Tekathen
Das hölzerne Pferdekarussell ist dabei, eine große Schiffschaukel, der
Kettenflieger, die Schießbude, Dosenwerfen, Hau den Lukas. Auch das
Fotostudio 1900, in dem sich die Besucher in alten Kostümen fotografieren
lassen können, ist wieder da. |
Wird sich am Aufbau der
Kirmes etwas ändern?
Tekathen
Wir konzentrieren das Kirmesgeschehen diesmal auf den Altmarkt. Durch die
Neuanpflanzung einiger Bäume haben Raupe und Kettenkarussell dort genügend
Platz. Die Kirmes zieht sich dann bis zur Vincentiuskirche vor die drei
Kreuze. Auf dem Platz zwischen Pfarrhaus und Kirche werden diesmal nur die
Wohnwagen der Schausteller abgestellt.
Als die Nostalgiekirmes vor
fünf Jahren ins Leben gerufen wurde, war es erklärtes Ziel, die Dinslakener
Altstadt nach vorn zu bringen. Wurde das Ziel erreicht?
Tekathen
Die Kirmes hat ihren besonderen Reiz. Sie ist klein und beschaulich. Und sie
wird angenommen. Die Mitglieder der IG Altstadt bekommen viele Anrufe aus
anderen Städten. Die Menschen fragen: Wann ist wieder Nostalgiekirmes? Was
baut ihr auf? Das freut uns. Die Nostalgiekirmes ist ein Musterbeispiel
dafür, wie schön man in Dinslaken zusammenarbeiten kann. Diese Kirmes hat
Herz. Ich glaube, dass das auch diesmal wieder eine runde Sache wird.
Langsamkeit lässt sich auf
dem Rücken dieser Holzpferdchen neu entdecken: Auf der Nostalgiekirmes
drehen sich Karussells in Schrittgeschwindigkeit.
INFO: Kirmesgottesdienst
Am Kirmessamstag drehen sich
die Karussells auf dem Altmarkt ab 10 Uhr. Der Sonntag beginnt mit einem
ökumenischen Gottesdienst. Der gehört seit fünf Jahren dazu. Die
Schausteller selbst waren es, die vor fünf Jahren den Anstoß dazu gegeben
haben. Die Pfarrer beider Kirchen waren begeistert und machten sofort mit.
Rheinische Post |
Bürgermeisterin im freien
Flug. Die Nostalgiekirmes der IG Altstadt startete gestern bei blauen Himmel
und Sonnenschein. (Fotos: Eduard Behrendt)
Alte Schätzchen jung geblieben
NOSTALGIEKIRMES. Raupe,
Kettenkarussell und Holzpferde wecken romantische Erinnerungen. Und laufen
wie geschmiert
DINSLAKEN. Ein alter
Hanomag-Trecker des Schaustellers Peter Buchholz brachte Bürgermeisterin
Sabine Weiss, den Vorsitzenden der IG Altstadt Dr. Ulrich Tekathen und die
beiden Kinder Hannah und Justin gestern Mittag zur Eröffnung der
Nostalgiekirmes auf den Altmarkt. Ein Gefährt, das bei jedem
landwirtschaftlichen Oldtimertreffen Beachtung finden würde. Doch hier auf
dem Altmarkt stehen bis Montag ganz andere motorisierte Schätzchen im
Mittelpunkt. Historische Fahrgeschäfte, die bei der fünften Nostalgiekirmes
der IG Altstadt Kinderauen leuchten und so manchen Erwachsenen in
romantischen Erinnerungen schwelgen lassen dürften.
Seit 1901 im
Familienbesitz
Auf der Kirmes geht's rund.
Auf dem Pferdekarussell, dem Kettenkarussell, in der Raupe. Drumherum
versammelt sich alles, was zum nostalgischen Rummel dazu gehört: eine
Schiffschaukel und eine Schießbude, Entenangeln und Kasperletheater.
Gerademal 14 Jahre alt ist Puppenspieler Hermann Fellerhoff. Der Junior der
Schaustellergeneration feiert in Dinslaken mit gleich drei Stücken
Theaterpremiere.
Vom Jüngsten zum Ältesten.
1901 drehte das Karussell von Hermann Fellerhoff zum ersten Mal seine
Runden, seitdem ist es im Familienbesitz. Gebaut wurde es als
Dampfkarussell. Aus dem Zylinder in der Mitte ragte der Schornstein. Unten
drehten sich Pferdchen und Boote, über dem Dach mit den Märchenbildern
qualmte und rauchte es.
Ein Bild, das bereits Mitte
der Zwanziger Nostalgie war. Ein Elektromotor ersetzte den Dampfantrieb. Er
ist bis heute in Betrieb.
30 Jahre lang schlief das
Märchenkarussell einen Dornröschenschlaf im Lager der Fellerhoffs. Seit 2005
zieht es Kinder und Erwachsene an wie in den alten Tagen. Nostalgie, die
gepflegt sein will. Die Wartung des Motors übernimmt eine Duisburger
Zahnradfabrik, um die Holzarbeiten kümmert sich ein Schreiner. Die
Märchenbilder hält ein Mitarbeiter Fellerhoffs frisch und dass die Holztiere
strahlen wie die Honigkuchenpferde, dafür sorgt Fellerhoff selbst.
Vergnügen der Wilden
Zwanziger
Dunkelheit dagegen ist das
Rezept, das aus einer einfachen Rundbahn einen Mythos machte. „Hier bin ich
schon mit deiner Oma gefahren", schwärmt so mancher seinen Enkeln vor,
wissend um die romantische Bedeutung. Wenn sich das Dach der Raupe schloss,
wich der Kirmesrummel Momente heimlicher Zweisamkeit. So etwas konnte nur in
den Wilden Zwanzigern erfunden werden. Die Raupe, die Schausteller Peter
Buchholz auf dem Altmarkt aufbaute, stammt aus dem Jahr 1926. |
Antrieb durch Salzwasser
Damals war das System
gerademal zwei bis drei Jahre alt. Heute ist das Gefährt das größte,
funktionstüchtigste seiner Art in ganz Europa. Und behauptet sich immer noch
auf den Jahrmärkten des 21. Jahrhunderts gegen halsbrecherische
Loopingfahrten und Stürzen im freien Fall. Neun Umdrehungen pro Minute
erlaubt das Baubuch, betrieben wird die Raupe mit Salzwasser. In der Mitte
steht ein Fass, je tiefer die drei Schwerter des Karussells darin
eintauchen, desto schneller die Fahrt.
Alles einsteigen! Hermann
Fellerhoff läutet die Glocke zur nächsten Fahrt auf dem Pferdekarussell.
Dagegen dreht sich das
Kettenkarussell von Francoise und Rüdiger Hornig richtig rasant.
Ursprünglich flogen auf dem Gefährt der Karussellfabrik Bootmann von 1929
acht Schwäne, sie wurden später von 32 Schaukelsitzen ersetzt.
Hornig ist Schausteller in
der sechsten Generation. Seine Motivation: Idealismus. „Ich nehme beim Auf-
und Abbau jeden einzelnen Balken in die Hand. Da hängt einfach mein Herzblut
dran."
HIER GEHT'S RUND
Die Nostalgiekirmes startet
Samstag und Montag um 10 Uhr, Sonntag öffnen die Buden und Fahrgeschäfte im
Anschluss an dem um 10.15 Uhr beginnenden ökumenischen Gottesdienst auf dem
Altmarkt.
Zu den Kirmesattraktionen
gehören eine Schiffschaukel für Erwachsene, drei verschiedene
Kasperletheaterstücke von Nachwuchspuppenspieler Hermann Fellerhoff und die
große Konzertorgel von Jakob Schleifer aus dem Jahr 1927.
Wer sich durch den
nostalgischen Rummel selbst in alte Zeiten zurückversetzt fühlt, kann sich
ganz stilecht in Kostümen des 19. Jahrhunderts fotografieren lassen.
BETTINA SCHACK,
NRZ 18.08.07
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