Sehenswürdigkeiten
in der Dinslakener Altstadt
 

Stadtplan Altstadt


 Die Kundschafter
 



 

Die Kundschafter, die den Israeliten mit einer riesigen Weintraube von der Fülle des gelobten Landes verkünden.

Es gibt schöne Dinge im Stadtbild, an denen mancher jahrelang vorbeikommt, die er aber niemals bewusst wahrnimmt. Dazu gehört z.B. das Relief der "Kundschafter" an der ev. Stadtkirche. Es handelt sich hierbei um einen Nachguss. Das Original aus dem Jahre 1910 war ursprünglich als Zementputz auf Ziegelmauerwerk gearbeitet. Diese Arbeit des Vaters von Buchhändler Paul Jacobs hing früher am Haus Nr. 24 am Dinslakener Altmarkt. Das Haus, in dem sich früher der Konsum-Markt befand, wurde im Sommer 1981 abgerissen. Zuvor wurde das Relief mit Umsicht und großen Mühen geborgen und unter Beratung und Mithilfe des Landeskonservators restauriert. Dennoch blieb es Stückwerk und konnte nirgendwo mehr eingebaut und aufgehängt werden. Deshalb schlug der Landeskonservator die Fertigung eines Nachgusses vor, den der Dinslakener Steinmetz Willi Hilgert in die Tat umsetzte. Und da der interessierte Betrachter das Motiv des Reliefs auch im Inneren der Kirche als Fensterbild findet, lag es nahe, den Nachguss auch an der ev. Stadtkirche anzubringen.

Das Relief ist sicher kein großes Kunstwerk, doch reizvolles Dokument einer Zeit, als man noch "schöne" Häuser baute und die Fassade mit Ornament und Bildwerk schmückte. Das Bild der zwei Männer, die eine große Weintraube an einer Stange tragen, ist ein beliebtes und volkstümliches Motiv. Es erzählt eine Episode aus dem alten Testament, als die Israeliten auf dem Wege ins Gelobte Land waren. Moses schickte Männer aus, um das Land Kanaan vorher auszukundschaften. Im Buch Numeri (13,22) heißt es darüber: "Bis zum Tal Eschkol kamen sie und schnitten dort eine Rebe mit einer Weintraube ab. Sie trugen sie zu zweien an einer Stange, dazu einige Granatäpfel und Feigen." Das Bild mit den zwei stämmigen Burschen passt ausgezeichnet zum Markt, der unter ihnen auch heute noch zweimal in der Woche stattfindet.

Rettung in letzter Minute

Beinahe wären „Die Kundschafter“ 1978 einem Altbau-Abriss zurn Opfer gefallen. Doch Ronny Schneider war zufällig zur Stelle und verhinderte die Zerstörung des Reliefs mit alttestamentarischer Darstellung

Bettina Schack, NRZ 08.05.2021

Guck mal, was da hängt: Der „Ohrenmann“ vor der Ev. Stadtkirche hat das Guckmal der heutigen Folge unserer NRZ-Reihe im Blick. Es sind die alttestamentarischen „Kundschafter“ von Paul Jacobs.

Guck mal - diese riesige Weintraube dort auf dem Relief an der Stadtkirche! Die ist so groß, dass zwei Männer sie tragen müssen. Es gibt also reiche Früchte. Und diese beiden Männer sind die Kundschafter, die mit ihrer süßen Last Moses und Aaron zeigen, dass die Flucht aus Ägypten, die vielen Entbehrungen, vor allem aber das Vertrauen auf Jahwe nun tatsächlich Früchte tragen wird. Die Kundschafter sind den Israeliten vorausgegangen und kehren nun zurück aus dem verheißenen Land, dem Land, wo Milch und Honig fließen.

Das schwere Relief außen an der zur Brückstraße gelegenen Sakristeiwand der Ev. Stadtkirche ist die zweite künstlerische Darstellung der alttestamentarischen Kundschafter. Die erste findet man über der Orgelempore auf einem der Glasfenster von Werner Persy. Dort korrespondieren die Weintrauben der Kundschafte mit dem neutestamentarischen Wort Christi „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“.

Und „Die Kundschafter“ draußen? Es ist selbst ein kleines Wunder, dass dieses Guckmal dort erhalten ist. Und dies trug sich so zu: 1978 wurde das Haus an der Eppinghovener Straße 24 abgerissen. Der Altbau, in dem ein Konsum untergebracht war, stammte von 1910. Mit der Neugestaltung des Altmarkts wurde an der Stelle später ein neues Gebäude errichtet, die Buchhandlung Korn hat heute darin ihr Domizil. Doch zurück zu jenem Nachmittag des Jahres 1978. Pfarrer Ronny Schneider wollte seinen Töchtern, die gerade aus der Schule kamen, etwas bieten: Guckt mal, wie das ist, wenn die Bagger kommen und wenn ein Hans abgerissen wird.

Biblischer lnhalt

Während sich die Kinder wohl eher für das Staub aufwirbelnde Spektakel interessierten, nahm der ev. Pfarrer allerdings - erstmals bewusst - das Relief am ersten Stock des Gebäudes wahr. Und er wusste sofort den biblischen Inhalt zu deuten. „Hören Sie sofort auf - Sie zerstören Kunst!“ Noch heute erinnert sich Ronny Schneider an seine Worte und an seine Reaktion, als der irritierte Baggerführer der Aufforderung nicht sofort nachkam: „Wenn Sie nicht augenblicklich aufhören und das Kunstwerk retten, schalte ich den Bürgermeister ein“.

 

Die Verunsicherung der Arbeiter war nun so groß, dass sie eine Pause einlegten. Dann setzten sie alles daran, das Relief irgendwie von der bereits halb eingerissenen Hauswand zu bekommen und auf den Boden abzulegen.

Ronny Schneider brauchte also nicht Bürgermeister Karl-Heinz-Klingen vom Rathaus auf den Altmarkt holen. Stattdessen bat er jemand anderen von zwei Ecken weiter zur Abbruchstelle: Steinmetz Willy Hilgert, dessen Familienbetrieb heute, 2021, bereits schon in der dritten Generation an der Dr.-Otto-Seidel-Straße gelegen ist.

Was Willy Hilgert und seine Mitarbeiter 1978 von den „Kundschaftern“ sichern konnten, waren „lauter Bruchstücke“, erinnert sich der Steinmetz, der Dinslaken schon einige bedeutende Werke, darunter die drei Kreuze, in seiner Werkstatt restauriert hat. Er fügte die einzelnen Stücke des Reliefs — eine Arbeit in Sandstein — zusammen, um davon einen Abguss aus Steinersatzmaterial zu nehmen. Dieser wurde dann im Nachgang handwerklich nachbearbeitet und von Hilgert an der Wand der Stadtkirche angebracht: Eine Spende des Steinmetzes, wie sich Ronny Schneider noch heute gerne erinnert.

Ein Werk von Paul Jacobs

Die Kundschafter zeugen nicht allein von der erfüllten Verheißung des gelobten Landes. Sie sind ein echtes Stück Stadtgeschichte. Denn nicht nur Ronny Schneider und Willy Hilgert gehören zur Altstadt, sondem.auch der Schöpfer des Sandstein-Guckmals aus dem Jahre 1910. Es ist Paul Jacobs, Vater des Buchhändlers Paul Jacobs, der die Bücherstube am Walsumer Tor führte.

Vom Senior ist auch noch weitere Kunst am Bau in der Altstadt erhalten: Paul Jacobs schuf auch die figürlichen Darstellungen an der Fassade der ehemaligen Bäckerei Stöcker auf der Duisburger Straße gegenüber der Wöllepump.