Sehenswürdigkeiten in der Dauerausstellung im Museum Voswinckelshof

 


Harpunen aus der Zeit um 11 000 vor Christus
 

Einzigartige Museumsstücke

Drei Harpunen, zwei in ihrer Ganzheit erhalten, einst aus Tierknochen gefertigt, ein weiteres ist nur noch als Bruchstück erhalten, aus Rothirschgeweih. Sie stammen aus der Zeit um 11 000 vor Christus.

„Vergleichbare Stücke gibt es in Deutschland nicht“, sagt Dr. Peter Theißen, der Leiter des Museums Voswinkelshof. Deshalb sind sie aus der Dauerausstellung im Museum Voswinckelshof nicht wegzudenken.

Professor Rudolf Stampfuß, Prähistoriker und früherer Museums-Chef, hatte sie 1960 an der Kreuzstraße in Dinslaken ausgegraben. Bei einem Neubau waren sie im Torf der Baugrube in 3,75 Meter Tiefe gefunden worden. Vielleicht, so überlegte Stampfuß damals, war dort mal ein Rotbach-Tümpel oder das Altwasser des Rheins stand bis zur Kreuzstraße. Niemand weiß es so recht. Der Torf, so Stampfuß, stammte aus der Allerödzeit am Ende des Eiszeitalters, etwa um 9000 vor Christus. Am Fundort lagen auf gleicher Ausgrabungshöhe ein paar Zapfen und aufgrund dieser bestimmte der Archäologe damals die Harpunen auf 6000 bis 9000 vor Christus.

Bei den Harpunen, so schrieb Prof. Rudolf Stampfuß in der Geschichte Dinslakens, handelte es sich um zwei vermutlich aus einem tierischen Schienbeinknochen gearbeitete, lanzenförmige Stücke mit herausgeschnittenen, spitz zulaufenden Zähnen, die als Widerhaken dienten. Das Bruchstück ist aus einem Rothirschgeweih gefertigt und in der Form breiter. Es hat noch zwei weit auseinanderstehende Widerhaken erhalten.

Irgendwann gerieten die Harpunen, obwohl ausgestellt, in Vergessenheit. Bis die Archäologin Dr. Birgit Gehlen von der Uni Köln im Rahmen eines Forschungsprojektes auf die Harpunen aufmerksam wurde. Und die Forscherin mit dem Fachschwerpunkt Mesolithikum vermutet eine ganz andere Zeitangabe hinter diesen Harpunen. Um dies genau festzustellen, sind die beiden Harpunen aus Tierknochen mit einem Spezial-Minibohrer angebohrt worden, der Kern wurde in einem Speziallabor im australischen Sydney mit der C-14-Methode, der Radiokarbonmethode, untersucht.

Das Untersuchungsergebnis bestätigte die Vermutung von Dr. Gehlen: die Harpunen stammen aus der Zeit 10 870 bis 11 120 v. Chr. Angefertigt wurden sie damals mit Messern und Klingen aus Feuerstein. Sie wurden als Speerspitzen benutzt und sind so groß, dass sie nur zum Jagen großer Fische im Rhein und in der Lippe geeignet waren. „Vergleichbare Stücke gibt es in Deutschland nicht“, freut sich Dr. Peter Theißen. Leiter im Voswinckelshof. „Wir haben damit in unserem Museum ein Alleinstellungsmerkmal.“ 14 gleichartige Harpunen gebe es nur in Europa, in Belgien, Westfrankreich und Wales. Für Theißen steht damit fest, dass es schon zu jener Zeit Wirtschaftsbeziehungen gegeben haben muss.
„Die Geschichte muss zwar dadurch nicht neu geschrieben werden, aber es bedeutet, dass der Siedlungsplatz Dinslaken älter ist als bisher angenommen“, freut sich Theißen. „So haben also schon vor 14 000 Jahren Menschen in unserer Stadt gelebt und gejagt.“

„London war durch den Rhein bereits eine fußläufige Zone von Dinslaken“, sagt Theißen scherzend. Das natürlich nicht, doch es muss bereits ein Handel- und Ideenaustausch stattgefunden haben, trotz Sprachbarriere und Entfernung. „Das ist für die Kulturgeschichte äußerst wichtig“, bemerkt der Museumschef.

Für die Geschichte vor Ort heißt das, dass Ur-Dinslaken etwas an sich gehabt haben muss, das Menschen schon früh hierher zog. „Der Siedlungsplatz muss hier sehr attraktiv gewesen sein“, so Theißen. Warum? Er weiß es nicht. Vielleicht, weil der Rhein hier besonders geschwungen war und den Fischfang leichter machte. Vielleicht gab es hier besonders viele Fanggründe und auch andererlei Wild in großen Mengen. Denn während die kleineren, 28 cm großen, aus Tierknochen gefertigten Harpunen zur Fischjagd benutzt wurden, wurden mit dem Bruchstück aus Rothirschgeweih größere Tiere gejagt. „Sie sind Hightech-Geräte ihrer Zeit“, erklärt Theißen.

 

Foto: Heiko Kempken

Und noch eins bergen die Harpunen in sich – die Geschichte eines Vulkanausbruchs in der Eifel. Denn zu jener Zeit brach der Vulkan von Maria Laach aus und schleuderte Dreck und Lava in die Atmosphäre. Die kleine Klimakatastrophe ist ebenfalls an den Harpunen abzulesen. Lediglich warum sie an der Kreuzstraße gefunden wurden, ist damit immer noch nicht geklärt, wird vielleicht auch auf ewig ein Geheimnis bleiben.

Wie lange haben Menschen hier gesiedelt? – Auch das bleibt ein Rätsel, nächste Überreste sind Jahrtausende später angesiedelt und die erste urkundliche Erwähnung Dinslakens fand erst 1163 nach Christus statt.

Drei kleine Harpunen – der Laie mag die Aufregung in der Fachwelt kaum nachzuvollziehen. Und dennoch ist es ein Stück Geschichte der Menschheit. Nur 28 cm lang sind die beiden Harpunen aus Tierknochen, die Rothirschgeweih-Harpune muss einst größer gewesen sein. Die kleinen, so vermutet der Museumschef, wurden sicherlich zum Fischfang benutzt, das Bruchstück für größere Tiere. Doch wie sie benutzt wurden, das könne man heute nicht mehr exakt sagen. Eventuell waren sie an einen Speer gebunden. Auch wie sie in die Torfgrube an der Kreuzstraße gelangten, ist nicht nachzuvollziehen. Haben die Jäger damals hier gelebt oder sind sie hier vorbeigezogen? Haben sie ihre Jagdwerkzeuge verloren? „Unwahrscheinlich“, meint Theißen, „wenn man bedenkt, wie wertvoll diese Werkzeuge für den damaligen Menschen waren, dass sogar noch Bruchstücke aufgehoben wurden.“

Vermutlich haben sie hier gelebt, sind zum Fischen und Jagen gegangen, haben ihre Familien ernährt – alles nur Spekulationen, so der Museumschef. „Zumindest waren es für ihre Zeit fortschrittliche Waffen“, erklärt Theißen, allerdings keine Prototypen, denn „sie weisen deutliche Gebrauchsspuren auf“. Auch seien die Harpunen intelligent gemacht, mit Blutablaufrinne, so wie man sie von manchen Jagdmessern kenne. „Die Jäger müssen Erfahrung gehabt haben bei der Herstellung. Das ist der Werkzeugtyp, der sich bewährt hat.“

Die C-14-Methode in der Archäologie

Die Radiokarbonmethode beruht auf dem Zerfall eines bestimmten Kohlenstoff-Isotops, das in den oberen Schichten der Atmosphäre entsteht und von allen Lebewesen aufgenommen wird. Seit seiner Entdeckung habe es viele Vergleichsbohrungen gegeben, erklärt Dr. Peter Theißen, so dass die Altersbestimmung, die hiermit vorgenommen werden kann, immer genauer wird. Das Material wird dabei kontrolliert, verbrannt und aus den Rückständen kann man den Kohlenstoffanteil des Gases messen und die Atome bestimmen. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf das Alter zu.

Vgl. Birgit Gargitter in NRZ, 17.07.2015 und 20.03.2016