Sehenswürdigkeiten
in der Dinslakener Altstadt
 

Stadtplan Altstadt


 Die Kreuzigungsgruppe von 1507
 



 
An der Nordseite des Kirchturms der kath. Kirche St. Vincentius befindet sich die Kreuzigungsgruppe von 1507 aus Sandstein. Aus einem Felsen mit Schädel und Gebein wächst das Kreuz mit dem Korpus Christi. Daneben stehen die T-förmigen Kreuze mit den beiden Schächern. Nach Prof. Günter stellt der Kalvarienberg das Hauptwerk einer Weseler Bildhauerwerkstatt um 1500 dar. Stilistisch sei die Gruppe den Arbeiten des Meisters des Berendonk'schen Kreuzwegs vor dem Xantener Dom zuzuschreiben. Die Kreuzigungsgruppe zählt zu den bedeutensten ihrer Art.

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Wie sich drei Kreuze verdoppelten

Bettina Schack, NRZ 01.05.2021

Vor 520 Jahren wollte ein Jerusalem-Pilger in Wesel an den Leidensweg Christi erinnern. In Dinslaken trug sein frommes Werk Früchte.

Wer der Bildhauer der Kreuze mit den annähernd lebensgroßen Darstellungen von Jesus und den beiden Schächern war, darüber gibt es nur  Thesen. Vergleiche zu einer ganz ähnlichen Gruppe am Xantener  Dom oder die Zuschreibung des Kunsthistorikers des Bistums Münster Reinhard Karrenbrock zu Joest von Vorden (auch Werden oder Warden) aus Münster, die auch wegen des Materials der Dinslakener Gruppe, dem Baumberger Sandstein, plausibel erscheint.

Letztere These griff auch Wesels ehemalige Stadtarchivarin Jutta Prieur in ihrem Buch „Jerusalem in Wesel“ auf. Wesel? Richtig. Die Drei Kreuze, die Jahrhunderte lang vor dem Walsumer Tor der Dinslakener Altstadt standen, bildeten ursprünglich den Abschluss eines Kreuzweges außerhalb der Stadttore Wesels.

Eine wundersame Geschichte

Die Geschichte vom „doppelten Guckmal“ der zweimal drei Kreuze ist wundervoll — im wahrsten Sinne des Wortes. Es war einmal ein reicher Weinhändler in der Hansestadt Wesel, der wagte um 1500 die gefährliche Reise ins gelobte Land. Glücklich kehrte er heim und beschloss zum Dank für die Gnade, die ihm geschenkt wurde, auf einem Hügel vor seiner Stadt eine Kirche mit einer Glocke und drei Altären zu bauen. Doch nicht nur das: Auf dem Hügel ließ er die Kreuzigung Jesu lebensgroß und in Stein gemeißelt darstellen. Und wie von Jerusalem nach Golgatha führte fortan ein Kreuzweg von der Stadtkirche Wesels, der Matena, zu den drei Kreuzen vor den Toren der Stadt. Hermann Saelen hieß der Weinhändler und errichtet wurden die Kreuze 1501.

Doch für Wesel begannen unruhige Zeiten. Der Truchsessische Krieg brach aus, 1587 lagerten die Spanier vor der Stadt. Aus Angst, die Kirche vor den Stadtmauern könne als Schanze gegen Wesel benutzt werden, brachen die Bürger das Gotteshaus ab. Und noch etwas anderes hatte sich verändert: Wesel war eine Hochburg der Reformation geworden, die Calvinisten führten ihren eigenen Krieg gegen jegliche bildhafte religiöse Kunst. Saelens Kirche war nur noch Schutt, die Kreuze aber lagen gestürzt auf dem Boden. Ein trauriges Ende, jedoch nur der Schluss des ersten Kapitels.

Öffentliches Bekenntnis

1985 wurden am Kreisverkehr die Kopien der Kreuze errichtet, die Originale aber vor St. Vincentius aufgestellt. „Christsein ist keine Angelegenheit des Museums, sondern des öffentlichen Bekenntnisses“, zitiert der ev. Pfarrer Ronny Schneider die Worte des kath. Pastors Bernhard Kösters auf der Homepage des Heimatvereins Dinslaken.

So hat das Glaubenszeugnis des frommen Mannes aus Wesel nicht nur die Jahrhunderte überdauert, es hat sich durch die Hilfe vieler anderer vor Gott und der Welt sichtbar verdoppelt.

Wenn Wesel nicht „Jerusalem“ sein sollte, dann halt Dinslaken. Die riesigen Steinskulpturen wurden auf Karren verladen und vor dem Walsumer Tor aufgebaut. Und auch hier errichtete man eine Kapelle: Das fromme Werk des Weinhändlers erlebte ein kleines Auferstehungswunder. Von nun an sorgten die katholischen Pfarrer von Dinslaken für den Erhalt der Kreuze. 1651 wurden sie von Pastor Dudink, der auch als erster die Reliquien des Triumphkreuzes von St. Vincentius inventarisierte, renoviert und 1681 stellte Pastor Everhardi gegenüber allen etwaigen Bilderstürmern klar: „Was man hier am Kreuz hängen sieht, ist eine Erinnerung an Christus, nicht er selbst. Bete nicht den Stein an! Auf Christus und sein Leid allein richte dein Herz“. Das ließ er im Deutsch seiner Zeit in den Stein meißeln und versöhnte damit Katholiken, Lutheraner und Reformierte. So zogen viele Jahre ins Land.

Vergänglich ist alles Menschenwerk, es nagt der Zahn der Zeit. Um 1900 musste der Kopf der Christusfigur erneuert werden und in den 1960er Jahren sollte die gesamte Kreuzigungsgruppe renoviert werden. Da zog in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1965 ein heftiges Unwetter über die Stadt und zerbrach den Schächer zu Jesu Linken. Das Bildnis eben jenen Mannes, der Christus noch im Sterben verhöhnte... Die Steinfigur wurde restauriert, wie die ganze Gruppe. Und die fromme Geschichte vom Weinhändler aus Wesel findet mit einem Vermehrungswunder ihr vorläufiges Ende.

Die Originale sind eingelagert — das Ende ist offen

lm September 2020 wurde die originale Kreuzigungsgruppe aus ihrer Nische an der Turmwand von St. Vincentius abgebaut und eingelagert. Die Kirche wird renoviert, der Turm ist eingerüstet.

Ob die Kreuze an diesen Platz in der Sichtachse vom Altmarkt zurückkehren, ist derzeit völlig offen. Aus konservatorischen Gründen wird eine Lösung im geschlossenen Raum diskutiert. Eine Möglichkeit wäre aber auch die Gruppe, ähnlich wie die in Xanten, sichergeschützt hinter Glas im Öffentlichen Raum zu belassen.